Keine Zielvorgabe – kein Geld? BAG stärkt Arbeitnehmerrechte bei Zielvereinbarungen

Das BAG stärkt Arbeitnehmerrechte bei Zielvereinbarungen: Bei verspäteter oder fehlender Zielvorgabe besteht Anspruch auf Schadensersatz. Was das für variable Vergütung und Bonuszahlungen bedeutet, erfahren Sie hier.
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Wer im Arbeitsvertrag eine variable Vergütung auf Basis von Zielvereinbarungen zugesichert bekommt, ist auf klare Zielvorgaben durch den Arbeitgeber angewiesen. Doch was passiert, wenn diese Zielvorgaben verspätet oder gar nicht erfolgen? Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Februar 2025 (10 AZR 57/24) bringt nun Licht ins Dunkel – und stärkt die Rechte von Arbeitnehmern deutlich. Hier geht es zur offiziellen Pressemitteilung des BAG.

Worum ging es im Urteil?

Im konkreten Fall war der Kläger als Führungskraft angestellt. Sein Arbeitsvertrag sah eine variable Vergütung vor, deren Höhe sich zu 70 % aus Unternehmenszielen und zu 30 % aus individuellen Zielen zusammensetzte. Eine Betriebsvereinbarung regelte, dass diese Zielvorgaben jeweils bis zum 1. März eines Jahres verbindlich zu treffen seien.

Doch das Unternehmen kam seiner Verpflichtung nicht nach: Die Unternehmensziele wurden erst am 15. Oktober benannt – also nach Ablauf von drei Vierteln der Zielperiode. Individuelle Ziele wurden gar nicht festgelegt. Trotz geleisteter Zahlung in Höhe von 15.586,55 € klagte der Arbeitnehmer auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 16.035,94 €.

Das Bundesarbeitsgericht entschied klar zugunsten des Klägers und stellte fest:

„Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben […], löst dies […] einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung aus.“ (BAG, Urteil vom 19.02.2025 – 10 AZR 57/24)

Warum sind Zielvereinbarungen so entscheidend?

Zielvereinbarungen haben eine doppelte Funktion: Sie setzen klare Maßstäbe für die variable Vergütung und wirken zugleich motivationsfördernd. Werden Ziele nicht rechtzeitig vorgegeben, fehlt es nicht nur an Transparenz, sondern auch an einer fairen Grundlage für Leistungsbeurteilung und Gehaltsbestandteile.

Gerade Führungskräfte oder außertariflich Beschäftigte sind häufig betroffen. Für viele von ihnen ist die variable Vergütung ein relevanter Gehaltsbestandteil. Wer hier leer ausgeht, erleidet einen echten wirtschaftlichen Nachteil – wie auch die rechtliche Bewertung von Rückzahlungsklauseln bei Fortbildungen zeigt, bei denen ähnliche Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gelten.

Welche Pflichten hat der Arbeitgeber?

Das BAG stellt klar: Der Arbeitgeber trägt die alleinige Initiativlast für die rechtzeitige Zielvorgabe. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers scheidet in der Regel aus – auch dann, wenn keine explizite Nachfrage erfolgt. Wer Ziele festlegt, muss dies rechtzeitig, konkret und nachvollziehbar tun. Eine spätere gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt dann nicht mehr in Betracht.

Wird die Zielperiode zu großen Teilen „sinnlos verstreichen gelassen“, ist der Zweck der Zielvereinbarung verfehlt. Auch diese Einschätzung deckt sich mit der Rechtsprechung zur Sperrzeit beim Arbeitslosengeld nach Eigenkündigung, bei der ein klarer Handlungszeitpunkt ebenfalls entscheidend ist.

Wie wird der Schaden beziffert?

Die Höhe des Schadens wird durch das Gericht geschätzt (§ 287 ZPO). Dabei ist von der variablen Vergütung auszugehen, die der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger und angemessener Zielvorgabe mutmaßlich erreicht hätte. Das BAG geht dabei regelmäßig von dem aus, was im Rahmen billigen Ermessens (§ 315 BGB) erreichbar gewesen wäre – im entschiedenen Fall also 100 % Unternehmensziele und 142 % individuelle Ziele (Durchschnitt der letzten Jahre).

Besonders relevant ist diese Einschätzung auch für Beschäftigte, deren Vergütung anteilig von betriebswirtschaftlichen Größen abhängt – etwa bei Umsatzbeteiligungen oder Boni. Wer hier auf eine saubere Berechnung Wert legt, findet Unterstützung im Brutto-Netto-Abfindungsrechner auf abfindung4u.de.

Welche AnsprĂĽche bestehen bei fehlender Zielvorgabe?

Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nach, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz statt Leistung verlangen – zusätzlich zu einer etwaigen Teilzahlung. Voraussetzung ist, dass die Zielvereinbarung Bestandteil des Arbeitsvertrags oder einer betrieblichen Regelung war und deren Nichterfüllung kausal für den Schaden war.

Ein bloßes „Leerlassen“ der Ziele oder die pauschale Anwendung von Durchschnittswerten reicht nicht aus, um dieser Pflicht Genüge zu tun. Ähnliche Überlegungen gelten auch beim Abfindungsvergleich, bei dem ebenfalls auf das individuelle Interesse und eine faire Bemessung geachtet werden muss.

Gilt das Urteil auch für andere Fälle?

Ja – die Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung. Sie betrifft alle Konstellationen, in denen variable Vergütung an Zielvorgaben gekoppelt ist. Dazu zählen:

  • Bonuszahlungen bei FĂĽhrungskräften
  • Vertriebsprovisionen mit Umsatzzielen
  • Mitarbeiterbeteiligungsmodelle
  • leistungsorientierte Jahresprämien

In all diesen Fällen ist entscheidend, ob die Zielvorgabe rechtzeitig und transparent erfolgte – und ob die Kriterien messbar und erreichbar waren. Ähnlich relevant ist dies auch bei Fahrtzeiten und Arbeitszeitregelungen, bei denen eine klare Definition ebenfalls unerlässlich ist.

Was sollten Arbeitnehmer jetzt tun?

Wer glaubt, ihm sei durch fehlende Zielvereinbarungen ein finanzieller Schaden entstanden, sollte folgende Schritte prĂĽfen:

  1. Vertragliche Regelung zur variablen VergĂĽtung sichten
  2. Fristen zur Zielvereinbarung dokumentieren
  3. Mögliche Durchschnittswerte früherer Jahre heranziehen
  4. Schriftliche Aufforderungen oder Erinnerungen sichern
  5. Kostenfreie arbeitsrechtliche Ersteinschätzung einholen

Gerade wer am Ende eines Arbeitsverhältnisses steht, sollte zudem prüfen lassen, ob der ausstehende Zielbonus in eine Abfindungsregelung integriert werden kann – denn ein nachträglicher Bonusverlust kann bei der Bewertung der Abfindungshöhe eine entscheidende Rolle spielen.

Zielvorgabe vergessen? Rechte sichern!

Das BAG macht deutlich: Wer sich vertraglich auf eine variable Vergütung einlässt, darf sich auf ein faires, rechtzeitiges und transparentes Zielsystem verlassen. Arbeitgeber, die hier nachlässig agieren, riskieren nicht nur Vertrauensverlust – sondern auch handfeste finanzielle Forderungen. Arbeitnehmer hingegen haben jetzt bessere Chancen, ihren Anspruch auf volle Vergütung auch ohne konkrete Zielvorgabe erfolgreich durchzusetzen.

Häufige Fragen zu Zielvereinbarungen und variabler Vergütung

Muss ein Arbeitgeber immer Zielvereinbarungen treffen?
Wenn der Arbeitsvertrag oder eine Betriebsvereinbarung die Zahlung variabler VergĂĽtung an Zielerreichung koppelt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, konkrete und rechtzeitige Zielvereinbarungen zu treffen. Andernfalls riskiert er SchadensersatzansprĂĽche.
Kann ich auch ohne Zielvereinbarung eine Bonuszahlung verlangen?
Ja, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht zur Zielvorgabe verletzt hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1, 3 BGB i.V.m. § 283 BGB bestehen.
Wann ist eine Zielvereinbarung zu spät?
Wenn die Zielvereinbarung erst nach Ablauf eines erheblichen Teils der Zielperiode erfolgt, kann sie ihre Anreizfunktion nicht mehr erfüllen – und gilt damit rechtlich als verspätet.
Muss ich als Arbeitnehmer an der Zielvereinbarung mitwirken?
Nein. Die Initiative zur Zielvorgabe liegt beim Arbeitgeber. Eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers besteht nur, wenn dies ausdrĂĽcklich vereinbart wurde.
Wie kann ich meinen Schaden bei fehlender Zielvorgabe beziffern?
Das Gericht schätzt den Schaden nach § 287 ZPO. Grundlage ist die Bonushöhe, die bei rechtzeitiger Zielvereinbarung mutmaßlich erreicht worden wäre – häufig anhand von Durchschnittswerten vergangener Jahre.

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Rechtsanwalt Alexander Meyer