Ein Tattoo, eine Entzündung – und kein Geld vom Arbeitgeber?
Genau das war der Streitpunkt in einem aktuellen Fall vor dem Arbeitsgericht. Eine junge Frau ließ sich eine Tätowierung stechen. Kurz darauf entzündete sich der betroffene Bereich so stark, dass sie eine Woche arbeitsunfähig war. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung – mit dem Argument, die Erkrankung sei selbst verschuldet. Was zunächst drastisch klingt, wurde von zwei Instanzen bestätigt.
Der Fall wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wann handelt es sich um eine selbst verschuldete Krankheit – und wann muss der Arbeitgeber deshalb keine Lohnfortzahlung leisten?
Kurzfassung im Video:
Grundsätzlich gilt: Wird ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden arbeitsunfähig, hat er bis zu sechs Wochen lang Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 EFZG). Doch was bedeutet „ohne eigenes Verschulden“?
Genau hier liegt die rechtliche Feinlinie: Nicht jede Handlung, die ein gewisses Risiko mit sich bringt, führt zum Verlust des Anspruchs – aber bestimmte bewusst eingegangene Risiken können dazu führen, dass der Arbeitgeber nicht zahlen muss.
Im konkreten Fall hatte sich die Arbeitnehmerin eine Tätowierung am Arm stechen lassen. Statistisch gesehen kommt es bei etwa 5 % aller Tattoos zu einer Infektion, die eine medizinische Behandlung oder Krankschreibung erforderlich macht.
Das Arbeitsgericht wertete dies als bewusst eingegangenes Risiko. Wer sich freiwillig einer nicht medizinisch notwendigen Körperverletzung aussetzt, so das Gericht, handle fahrlässig, wenn er dadurch eine Erkrankung riskiert. Die Tätowierung war keine medizinische Maßnahme, sondern diente rein ästhetischen Zwecken. Wer damit rechnet, dass es zu Komplikationen kommen kann – und trotzdem handelt –, muss das Risiko selbst tragen.
Sowohl die erste als auch die zweite Instanz lehnten daher einen Anspruch auf Lohnfortzahlung ab. Es handelt sich um eine selbst verschuldete Krankheit im Sinne des § 3 EFZG.
Der Gesetzgeber hat bewusst keine abschließende Liste definiert. In der Praxis gibt es jedoch verschiedene Fälle, in denen Gerichte eine Selbstverschuldung angenommen haben, etwa bei:
Immer entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer sehenden Auges ein erhebliches Risiko eingeht, das typischerweise zu einer Erkrankung führen kann. Dann entfällt die Pflicht zur Entgeltfortzahlung.
Nicht jede Freizeitaktivität führt automatisch zum Risiko des Lohnverlusts. Wer sich im Rahmen des sozial Üblichen bewegt – etwa beim Fußballspielen, Joggen oder Fahrradfahren –, handelt nicht automatisch grob fahrlässig. Auch ein Skiurlaub begründet allein noch keinen Schuldvorwurf.
MaĂźstab ist stets die Zumutbarkeit und das allgemeine Lebensrisiko. Nur wenn das Verhalten besonders risikobehaftet oder leichtfertig ist, kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigern.
Der Arbeitgeber erhält vom Arbeitnehmer in der Regel nur eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („gelber Schein“). Dort steht nicht, warum jemand krank ist – schon gar nicht, ob es ein selbstverschuldetes Verhalten war.
Möchte der Arbeitgeber die Zahlung verweigern, ist er in der Beweispflicht. Er muss also konkrete Anhaltspunkte haben oder z. B. durch öffentliche Posts, Aussagen Dritter oder eigene Recherchen erfahren, dass die Krankheit durch eigenes Verschulden entstanden ist.
Gerade in Zeiten von Social Media kommt es immer wieder vor, dass Arbeitnehmer z. B. ihre neue Tätowierung oder den geplanten Schönheits-OP-Termin posten – und damit unfreiwillig ihren Arbeitgeber in Kenntnis setzen.
Auch Krankenkassen oder Mitteilungen von Kollegen können Hinweise liefern. Ist der Arbeitgeber überzeugt, dass ein Selbstverschulden vorliegt, kann er die Lohnfortzahlung verweigern – muss sich aber auf einen Rechtsstreit einstellen, wenn der Arbeitnehmer dagegen vorgeht.
Die Entscheidung rund um die entzündete Tätowierung zeigt deutlich:
Wer bewusst vermeidbare Gesundheitsrisiken eingeht, muss im Zweifel auch den Lohnausfall selbst tragen. Es handelt sich dann um eine selbst verschuldete Krankheit im Sinne des § 3 EFZG – mit der Folge, dass der Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung leisten muss.
FĂĽr Arbeitnehmer bedeutet das:
Wer Operationen oder Eingriffe plant, die nicht medizinisch notwendig sind, sollte die möglichen Folgen vorab realistisch einschätzen. Der Verlust des Anspruchs auf Lohnfortzahlung kann im schlimmsten Fall mehrere Tausend Euro kosten.
Tipp:
Im Zweifel lohnt sich vor einem geplanten Eingriff ein Blick ins Arbeitsrecht – oder die Beratung durch einen Fachanwalt. Denn wie so oft gilt auch hier: Rechtzeitig informiert ist besser abgesichert.
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